Interkulturelle Woche: Mit anderen Augen – Männersache
Migration – eine Chance, ein Glück und kein Problem!
Was ist bloß los in Deutschland – über die Landtagswahlen in Ostdeutschland konnten sich insbesondere die CDU-Politiker gar nicht genug darin übertrumpfen, Forderungen zum Nachteil von Migranten aufzustellen – ist da irgendwas geplatzt ?
Es geht dabei ja vorgeblich immer nur um die sogenannte „irreguläre Migration“ – gemeint ist aber immer die Migration insgesamt, die man sogar schon als „Mutter aller Probleme“ bezeichnet hat, appelliert wird an eine tief verwurzelte Fremdenfeindlichkeit und getroffen fühlen sich auch immer die vielen Millionen von Menschen, die hierzulande entweder (noch) als Ausländer oder schon lange als Staatsbürger mit „Migrationshintergrund“ ein ganz normales Leben mit „uns“ zu leben versuchen. Von ihnen ist zu hören, dass sie sich immer weniger zugehörig, immer mehr abgelehnt und ausgeggrenzt fühlen.
Immer noch funktioniert die Hetze, das man hier noch aus Roland Kochs Zeiten kennt („Wo kann man hier gegen die Ausländer unterschreiben ?“).
Haben wir denn überhaupt ein echtes Problem mit der Migration ? Angeblich verstopfen Migranten ja den Wohnungsmarkt, überfüllen Kitas und Schulen und nehmen uns sogar die Termine bei den Zahnärzten weg – aber komischerweise ist das ja kein flächendeckendes Problem, sondern in etlichen Regionen Deutschlands funktioniert das alles ganz ordentlich, aber in manchen Gegenden wird gestöhnt. Bei uns ist da keine Rede von größeren Problemen – die Verwaltungen scheinen die Sache im Griff zu haben, es werden keine Turnhallen requiriert und auch wenn’s eng ist, finden alle Kinder Kita- und Schulplätze, und das, obwohl wir in einem Ballungsgebiet leben vielleicht – hängt es ja auch daran, ob und wie die Verwaltungen sich um die Dinge kümmern und ob sie im Umgang mit Migranten schon lange geübt sind und sich auch einfach nicht dagegen sperren ? Es ist wohl nicht ganz falsch anhzunehmen, dass die Probleme wohl auch auf dem Fehlen einer gewissen Selbstverständlichkeit im Umgang mit Migranten mancherorts beruhen, ja auf einer inneren Ablehnung der „Fremden“.
Wenn Wohnungen fehlen, dann ist das auch eigentlich kein Problem der Migration, sondern ein allgemeines Problem, das jahrzehntelang vernachlässigt wurde und dem sich die Politik endlich viel energischer zuwenden sollte, das gleiche gilt für Versäumnisse im Kita- und Schulbereich, da liegt allerhand im Argen, aber das muss man dort angehen und kann nicht Migranten dafür verantwortlich machen. So viele sind das doch gar nicht, dass die da irgendwas zum Überlaufen bekommen könnten, die Probleme sind doch strukturell !
Zumal gerade die „irreguläre Migration“ nur unfassbar wenig ausmacht – von den Menschen, die zu uns kommen und um Asyl nachsuchen, dürfen über ¾ berechtigt dauerhaft bleiben, derweil von denjenigen, die abgelehnt werden, sehr viele ganz von selbst freiwillig wieder das Land verlassen – dieser Tage wurde da ein frappierende Zahl veröffentlicht: Im Kreis Groß-Gerau sind es insgesamt gerade mal etwas über 300 Personen, die das Land verlassen müssten und die ggf. abgeschoben werden sollen. Das soll die enorme Flut derer sein, die uns da überlasten und überfordern und unsere Belastungsfähigkeit überstrapazieren ? Das ist doch vollkommen lächerlich.
Aber das zeigt doch die Hysterie, die hinter den geradezu panischen Ausbrüchen von Leuten wie Friedrich Merz steckt, da wird ein Thema vollkommen zu Unrecht hochgejazzt, das es in der Sache gar nicht hergibt. Man schielt auf die Stimmen der AfD (deren Stimmanteil F. Merz ja vor ein paar Jahren noch halbieren wollte, inzwischen ist er verdoppelt) und hofft, die dadurch wieder einzufangen, dass man auf deren Themen aufspringt – doch das ist ein hochgefährliches Spiel, wie sich schon in einigen anderen europäischen Staaten gezeigt hat: In Italien haben sich bürgerliche Parteien ebenso wie in Frankreich an dieser Strategie versucht und sind in die Bedeutungslosigkeit gefallen, stattdessen haben dort die Rechtsradikalen große Stimmanteile gewonnen und sind so schon an die Regierung gelangt bzw. stehen nicht weit davon entfernt (was aber kein gesamteuropäischer Trend ist, s. z.B. Polen, Spanien Schweden oder Großbritannien).
Das hindert die CDU nicht, selbst Dinge zu fordern, die schon rechtlich gar nicht zulässig sind, etwa die sofortigen Zurückweisungen an der Grenze, oder sogar das Dichtmachen der innereuropäischen Grenzen – eine der ganz großen Errungenschaften der europäischen Einigung einfach so wegen eines hochgepushten Scheinproblems wegwerfen, ist das noch eine europafreundliche Politik der vormals ur-europäischen C-Parteien ?
Dann höre ich „Solingen !!“ – ja, das ist schrecklich, was da ein islamistisch verblendeter Mensch angerichtet hat, das passiert leider immer wieder und ist anbetrachts der internationalen Möglichkeiten der Verhetzung und Radikalisierung über sie „sozialen Medien“ wohl auch gar nicht zu verhindern – aber Terrorismus mit Migration in einen Topf zu werfen und die Migration für Anschläge dieser Art verantwortlich zu machen ist auch eine geradezu bösartige Verzerrung der Fakten – die Millionen gutwilliger Menschen mit Migrationshintergrund haben rein gar nichts damit zu schaffen, dass ein paar Verhetzte zu Gewalt greifen und hier gnadenlos Menschen attackieren, verletzen und töten. Die absolute Großzahl der Migranten stehen dem so erschüttert und hilflos gegenüber wie wir alls – deswegen ist jede Bezugnahme auf Solingen oder andere Attentate zur Begründung von antimigrantischen Maßnahmen eine reine Schein-Begründung, die wieder nur verhetzen kann. Oder schüren wir jetzt auch Misstrauen und Hass gegen alle Thüringer, weil von dort einmal der NSU kam ?
Das Traurige ist dabei, dass selbst SPD und Grüne sich diesem Sog wohl nicht ganz entziehen zu können meinen und Teile der Forderungen jetzt von selbst erfüllen statt aufrecht dagegen zu stehen; man wundert sich sehr, haben nicht gerade mal vor ein paar Monaten mehrere Millionen Menschen auf den Straßen demonstriert für eine Politik, die eben nicht anti-migrantisch mit „Remigration“ droht, sondern die gute Tradition der Weltoffenheit Deutschlands fortsetzt ? Daran sollte an doch anknüpfen können !
Seit Jahrzehnten leben doch gerade wir hier im Rhein-Main-Gebiet in gutem Einvernehmen zusammen, die Alteingesessenen und die Menschen, die im Laufe der Jahre gekommen sind, erst als „Gastarbeiter“ aus Italien, Spanien und Griechenland und der Türkei, dann auch zunehmend als Flüchtlinge aus den Brennpunkten des Weltgeschehens, erst aus Südamerkia, dann Afghanistan, Palästina und Libanon, dem Irak und Iran, Eritrea oder Somalia, dem Kosovo oder wieder der Türkei oder in jüngerer Zeit aus Syrien oder der Ukraine – ganz abgesehen von den vielen EU-Neubürgern aus den östlichen Ländern, die sich hier niedergelassen haben. Mit der Integration hatte es Deutschland am Anfang nicht so doll, jahrelang wurde die Illusion hochgehalten, man sei „kein Einwanderungsland“, aber die Realitäten haben diese ideologische Festung dann doch nachhaltig geschleift und wir haben uns auch mit den Anliegen dieser Neubürger immer mehr befasst und arrangiert, mit etlichen Maßnahmen zur Förderung der Integration, nicht zuletzt mit der kürzlichen Erleichterung der Einbürgerung. Und dem starken Bedarf an Arbeitskräften wegen des Rückgangs der Zahl der einheimischen Erwerbstätigen entspricht man mit Programmen zur erleichterten Anwerbung.
Dementsprechend steht Deutschland mit der Integration der „Zugereisten“ auch im internationalen Vergleich gar nicht schlecht da; die Förderungsmaßnahmen greifen, die große Überzahl der Einwanderer findet auf dem Arbeitsmarkt ihren Platz, so sind von der großen Flüchtlingswelle 2015/16 inzwischen deutlich über 60% in einer Erwerbstätigkeit („Wir haben das geschafft !“), Migrationsforscher geben uns einen guten Platz in dem Ranking der Staaten mit Einwanderung.
Also lassen wir uns doch bitte nicht irritieren durch die wilden Sprüche aus der politisch eindeutig interessierten Ecke – ja, wir haben eine beachtliche Immigration, aber wir kommen gut mit ihr zurecht und auch die Einwanderer scheinen hier ganz gut klarzukommen, schaue man sich doch die zahlreichen Menschen an, die hier in Lohn und Brot stehen und tagtägliche gute Arbeit leisten, oder aber die vielen Betriebe, die hier von Menschen mit Migrationshintergrund geführt werden und die nicht nur zum Wirtschaftswachstum und zum Steueraufkommen beitragen, sondern auch eine große Zahl von Arbeitsplätzen und Lehrstellen bereitstellen; da scheint ja durchaus noch ein starker Trend zur Selbständigkeit und Mut zum unternehmerischen Risiko zu herrschen, vielleicht sogar mehr als in der deutschen „Urbevölkerung “. Besonders beispielhaft seien hier einmal Ugur Sahin und Özlem Türeci genannt, die mit ihrer Firma Biontech nicht nur weltweit viel zum Kampf gegen die Pandemie beigetragen, sondern so auch der Stadt Mainz einen warmen Regen beschert haben.
Und wir dürfen nicht vergessen: WIr brauchen die Einwanderung, wir sind auf Migration angewiesen, um die Bevölkerungsschrumpfung zu kompensieren – hierzulande werden seit vielen Jahre zu wenig Kinder geboren, um den Bevölkerungsstand aufrechtzuerjhalten, daher hat schon vor über 20 Jahren die von der CDU-Politikerin Rita Süssmuth geleitete Bundestagskomission gefordert, systematisch Einwanderung zu fördern, wovon man jetzt so gar nichts mehr hört, derweil aber die geburtenstarken Jahrgänge der 50er, 60er und 70er Jahre massenhaft in Rente gehen und im Arbeitsleben große Löcher hinterlassen.
Wenn es in den Medien jetzt immer wieder heißt, Umfragen bestätigten, dass die Migration von einer großen Zahl von Menschen als ernstes Problem angesehen wird, dann muss man doch auch immer wieder auf diese Wahrheiten hinweisen und so den Menschen wie den Medien klarmachen, dass sie nicht auf die Bauernfängereien von Protagonisten der AfD oder der CDU hereinfallen sollten, sondern einmal die Augen aufmachen und sehen, in welcher Welt wir wirklich leben.
Stehen wir zusammen mit unseren MitbürgerInnen gegen diese Spaltungsversuche und treten denen, die da einen Keil in die Gesellschaft treiben wollen, klar entgegen, weisen wir ihre Versuche, Hass und Zwietracht zu säen, eindeutig zurück – stärken wir aber auch die Parteien, diesen Versuchen nicht nachzugeben, sondern sich mit aller Macht für ein kooperatives und gedeihliches Miteinander aller Teile der Bevölkerung einzusetzen und Deutschland auch weiterhin als ein Land zu erhalten, das den Bedrängten und Verfolgten, die Schutz benötigen und ihn hier suchen, diesen auch gewährt.
Genießen wir vor allem die Vielfalt der Menschen und Kulturen, in der wir hier leben dürfen und die unser Leben doch in den letzten 50 Jahren so sehr bereichert hat, mit interessanten Menschen, mit tollen kulinarischen und kulturellen Höhepunkten, von denen man sich in der „gute alten Zeit“ (die eigentlich nur alt, aber wenig gut war) nichts hätte träumen lassen.
Bodo Schneider-Schrimpf, Bischofsheim